Im April 2023 waren wir, Frau Schulze und Frau Brauner vom Einzelhandelsteam des Standorts Hofgeismar, im Rahmen einer Förderung durch Erasmus+ in Finnland.
Zusammen mit 12 Kolleginnen aus Frankreich, Griechenland und Litauen nahmen wir an der Lehrkräfteweiterbildung „The Secret of Finnish Education: Phenomenon-Based Learning“ an der Europass Teacher Academy in Helsinki teil.
Die Qualität des finnischen Bildungswesens ist dadurch bekannt, dass die Lernenden des Landes im weltweiten Vergleich ̶ wie den PISA-Studien, den internationalen Schulleistungsuntersuchungen der OECD ̶ wiederholt Spitzenplätze weit vorn belegen. Hinter dem Lernen vermutet man bei den skandinavischen Ländern hohe Freiheitsgrade.
Wir wollten einen Blick hinter die Kulissen werfen und können rückblickend sagen, dass wir kaum stark abweichende, neue Methoden oder Tools gefunden haben. Diese kann man genauso im Unterricht an unserer Schule finden. Ein Unterschied dabei ist allerdings, dass die Auswahl meistens durch Lehrkräfte vorgegeben und seltener durch die Lernenden selbst erfolgt.
Auf der weiteren Suche nach den Geheimnissen des Bildungssystems haben wir zunächst viel über die Menschen in Finnland und ihr Zusammenleben gelernt.
Ein kleiner Exkurs: Finnland strebt eine gleichberechtigte Gesellschaft an, in der alle unabhängig von Faktoren wie Herkunft, Aussehen, Sexualität oder Geschlecht gleichgestellt sind. “Hän“, ein geschlechtsneutrales finnisches Pronomen, das „er“, „sie“ „es“ oder jemand anderes bedeuten kann, stand 1543 erstmals in einer gedruckten Schulfibel und hat sich bis heute gehalten. Es gibt kein Wort für „bitte“, die Menschen gehen einfach ausgesprochen freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit miteinander um. Es gibt zwar viel Wohneigentum, aber die Menschen leben nicht in Einfamilienhäusern, sondern vor allem in Mehrfamilienhäusern. Kontakt vorprogrammiert! Sauna, das einzige finnische Wort, das nahezu weltweit bekannt ist, beschreibt eine Kultur des Zusammentreffens. Die Stille der deutschen Sauna sucht man allerdings vergeblich. In finnisches Saunen ist es laut und bunt. Seit 1866 bis heute sorgt Finnland dafür, dass Bildung für alle zugänglich ist, das baut soziale Ungleichheit ab.
Aber zum Kern unserer Weiterbildung: Wir haben wichtige Details des finnischen Bildungsverständnisses kennengelernt. Im Wesentlichen besteht Bildung aus der Idee der Kollaboration aller Beteiligten. Es findet ein konsequenter und reger Austausch statt, von dem Lernende profitieren. Methoden und Medien werden zunächst erlernt, geübt, reflektiert und sehr schnell entscheiden die Lernenden zunehmend eigenständig mit wem, wie und womit sie arbeiten. Innerhalb eines verbindlichen zeitlichen Rahmens besteht viel Handlungsspielraum. Es besteht viel Vertrauen, dass Lernende den eigenen Fortschritt wollen. Lehrkräfte haben viel Gestaltungsfreiheit bezüglich ihres Unterrichts und genießen ein hohes Ansehen in der Gesellschaft. Teamarbeit und regelmäßige Weiterbildungen sind ein wesentlicher Bestandteil in ihrem Beruf. Sie entscheiden ohne verwaltungsmäßige Prozesse selbst über Präsenz- oder Distanzphasen in ihrem Unterricht. Der Besuch außerschulischer Lernorte ist mit und ohne Lehrkräfte für finnische Lernende selbstverständlich. Viele Bildungseinrichtungen wirken mit ihren Ergebnissen bis in die Gesellschaft hinein. Unterrichtsinhalte werden an Phänomenen der direkten Umwelt festgemacht, theoretisch vermittelt und praktisch umgesetzt. Lernende informieren über das, was sie tun und suchen sich Projektideen im Schul- oder Lebensumfeld. Bereits Grundschüler setzen sich, z. B. durch gemeinnützige Aktionen, für ausgewählte Institutionen, wie Kinderheime, Sportvereine oder Kindergärten ein. Lernende interessieren sich vor dem Hintergrund ihrer Unterrichtsfächer z. B. für Verkehr, Energieversorgung und Nachhaltigkeit und setzen ihre Ideen konkret um. Sie werden in ihrem Vorgehen von ihrem gesamten Umfeld bestärkt und ernst genommen.
Wir haben versucht diese Ideen für unsere Lernenden nutzbar zu machen, indem wir konkrete Projektideen durchgesprochen und sie zeitlich in den Ablauf eines Schuljahres eingeplant haben.
Es gab viele Bedenken hinsichtlich der in den beteiligten Ländern zu absolvierenden Prüfungen sowie der Gestaltung von Übergängen in das höhere Bildungssystem oder eine betriebliche Ausbildung. Bei Teilzeitklassen ist unser Gestaltungsspielraum zwar größer, dafür haben wir weniger Einfluss auf die zu absolvierenden Prüfungen.
Alle begeistert hat das Lego-Serious-Play, da hier die Ergebnisse nicht „auf den ersten Blick“, sondern nur über die anschließenden Präsentationen vermittelt werden konnten. Ein ganz eigenes „Kopfkino“!
Insgesamt war die mit acht Stunden täglich angesetzte Weiterbildung letztendlich anstrengend, aber auch sehr interessant. Unterrichtssprache ist durchgängig Englisch.
Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir auch bewusst, wie schnell die Eindrücke wiederum verblassen. Der größte Aufwand besteht meines Erachtens darin keine sture Unterrichtsabdeckung zu betreiben, sondern die Bildung von Teams voranzubringen, die konzeptionell über lange Zeit miteinander arbeiten.
Außerdem empfehlenswert, sich so viel wie möglich von der Stadt anzuschauen! Besonders beeindruckt hat uns Helsinkis Hightech-Wohnzimmer, die Zentralbibliothek Oodi. Kein Eintritt und täglich für alle geöffnet. Nur zur Ausleihe ist ein Ausweis notwendig! Wir empfehlen den Besuch der Homepage, alles andere würde hier den Rahmen sprengen.
Am Ende blicken wir auf eine tolle Weiterbildung zurück und sind mit vielen Eindrücken und einem Zertifikat in unseren Händen nach Hause gefahren.
Text: Britta Brauner und Tanja Schulze